Die Insel

– Sabi`s View –

6.07 Uhr Morgens.
Vor dem Flughafen Irkutsk.
Domestic Terminal.
Wir sind ein bisschen zu spät.
Also nichts wie durch, durch den Security Check.

Drinnen ist die Hölle los.
Ist schon etwas länger her als wir das letzte mal in so einem Getümmel waren.
Istanbul, letztes Jahr im Mai, wenn ich mich nicht täusche. 😀
Oh, wie ich Menschenmengen hasse.
Hunderte von ‚Individuen’ wuseln durcheinander.
Gefühlt alle haben eine schwarze Jacke an.
Aber: ‚Der Flo ist ja groß, den finden wir schon!‘ denk ich mir.

Und tatsächlich, keine 2 Minuten dort, schon steht er vor uns.
Der Flo.
Perfektes Timing!

Kein bisschen verändert hat er sich in dem Jahr in dem ich ihn jetzt nicht gesehen hab, mein kleines Brüderchen.
(Naja, klein is gut! Ich kann mich wirklich nicht dran erinnern, dass er jemals ‚kleiner‘ war als ich. 😀 )

Wir waren ziemlich überrascht, als er sich im Dezember recht spontan, dazu entschieden hat uns hier zu besuchen.
Denn, wer kommt schon mal schnell nach Sibirien?!
Im Winter!
Obwohl… wenn jemand, dann der Flo!

Nachdem er die Frage, ob er hier lieber ‚Urlaub’ oder ‚Abenteuer’ hätte, ganz eindeutig mit zweiterem beantwortet hatte (was frag ich da auch!?), war recht schnell klar was für die Zeit auf dem Plan stand.
Wir würden Olkhon besuchen, die größte Insel des Baikals, welche ca. 320 km von unserem Holzhäuschen entfernt liegt.
Deswegen hatten wir uns einen Tag vor seiner Ankunft ein Auto gemietet.
4×4 natürlich.

Nach einem etwas ruhigerem ‚Ankunftstag‘ in Irkutsk und am Angara, machten wir uns am Folgenden auf dem Weg Richtung Nordosten.
Voller Vorfreude und Abenteuerlust kamen wir 4 Stunden später in Sakhyurta an.
Beides wurde allerdings am Fährhafen ganz schnell wieder ausgebremst.
Denn es gab keine Fähre!

Eigentlich nicht schlimm, denn auf Grund meiner, hm, naja, Recherchen wusste ich bereits, dass in den Monaten Januar, Februar und März, wenn der See zugefroren ist, (logischerweise) keine Fähren mehr fahren können und daher entweder auf Hovercrafts umgeschwenkt wird oder, wenn dass Eis dick genug ist, man selbst mit dem Auto zur Insel fahren kann.
Was wie ich dachte, beides ziemlich spannend klang, denn wer ist schon mal mit dem Auto übers Eis oder mit einem Hovercraft gefahren…
Problem nun war, dass das Eis, laut Hafenpersonal, nicht dick genug zum Befahren war und die Hovercrafts lediglich für den Personentransport ausgelegt sind.
Schöner Scheiß!
Das hätte ja mal wirklich irgendwo im Internet stehen können! 😉

Nach ein wenig Hin und Her und dem Überreden eines der Hovercraftfahrers auch Baku mitzunehmen, beschloßen wir unseren Mietwagen am Hafen stehen zu lassen.
Wir würden auf der anderen Seite schon irgendwie zu unserer Unterkunft vor Khuzhir, 36 km weiter, und um die Insel kommen.

Die Überfahrt dauerte keine 5 Minuten.
Am anderen Ufer warteten schon jede Menge Buchankas auf ihre Passagiere.
UAZ Buchankas, das sind die Autos, in welche wir uns, seit dem wir sie das erste mal in Georgien sahen, verliebt hatten und die auch in Kasachstan, der Mongolei und Russland zuhauf herum fuhren.
Die russischen Bullis, wie wir sie nennen.
Und jetzt konnten wir auch endlich einmal mit einem mitfahren! Check!

Eine halbe Stunde später, vor dem Yurta Guesthouse, schmiß uns unser Fahrer raus.
Voll der Begeisterung schwärmten wir drei von unserem ‚Taxi‘, als wir durch das Gartentor das Grundstück unserer Bleibe betraten.
„Die sind gar nicht teuer, neu bekommt man die schon für 10.000…“
Da bemerkten wir, dass die Tür zur Rezeption mit einem riesigen Vorhängeschloss verriegelt war???
„Vielleicht da hinten!?“
Wir gingen zu einem weiteren Gebäude, welches auf dem Grundstück lag.
Aber auch das war…
Verschlossen!
„Bist du dir sicher das wir hier richtig sind?“ fragten die Jungs mich skeptisch.
Ich holte die Reservierungsbestätigung von booking.com heraus.
Adresse passt.
Guesthouse sieht aus wie auf dem Foto.
Und das Logo ist auch das Selbe!
Ja, wir waren hier definitiv richtig!
„Lasst uns mal anrufen!“
Es klingelte… und klingelte …und klingelte…
Tja, und jetzt?
Wir schauten uns um.
Auch die Häuser und Grundstücke nebenan schienen verlassen.
Kein Internet Empfang…
Kein Mensch auf der Straße…
Da blieb uns dann wohl nichts anderes übrig, als eine Alternative bzw. Hilfe zu suchen.
Also stiefelten wir los!
Bei -27 Grad und mit viel zu viel Gepäck und ohne Plan!

Wir wanderten weiter bis Khuzhir, aber auch dort fanden wir, trotz der Wegbeschreibungen einiger Leute von der Straße und aus einem Tante Emma Laden, einfach kein Hotel oder sonstiges das geöffnet hatte.
Eine Stunde später, die Sonne war bereits untergegangen, waren wir kurz davor wahnsinnig zu werden!
Uns war mittlerweile unwahrscheinlich kalt und auch meine positive Einstellung, mit welcher ich versucht hatte, trotz der beschissenen Situation, die Jungs bei Laune zu halten, verflog allmählich.
Der Einzige, der an der ganzen Sache mal wieder einen Haiden Spaß hatte, war Baku!
Wie immer halt, wenn wir etwas eher, naja, doof finden. 😀

Kurz darauf fanden wir ein geöffnetes Café und wir beschlossen unser Glück noch einmal zu versuchen.
Die Dame an den Tresen guckte ziemlich grimmig drein, als mein Bruder und ich auf sie zu gingen.
So grimmig, dass ich mich kaum traute sie anzusprechen!
Da sie aber irgendwie unserer letzte Hoffnung war, hielt ich ihr nach einem kurzen ‚priviet‘ das Handy mit der Übersetztungsapp unter die Nase, und versuchte ihr die Situation zu erklären.
Sie nickte, warf ihre Jacke über und zog uns mit raus vor die Tür.
Ich deutete auf Baku, der mit Andi draußen gewartet hatte und versuchte noch hinzuzufügen das wir einen ‚sobaka‘ haben.
Plötzlich fing sie an zu quicken und sich zu freuen wie ein kleines Mädchen.
Baku hatte es ihr ganz offensichtlich sehr angetan. 😀
‚No Problem‘, meinte sie und pfiff dem ersten Pick Up, welcher uns passierte hinterher.
Dieser drehte auf der Stelle um.
Das Fenster wurde herunter gekurbelt.
Und darin saß: Cat Stevens
Nein, natürlich nicht der Echte, aber Sergei (wie auch sonst) hatte wirklich ein große Ähnlichkeit mit dem Sänger!
Die Frau aus dem Café sprach ein paar Worte mit ihm, dann drehte er sich zu uns um…
‚So you need a place to sleep?‘
Wir konnten es nicht glauben! Da sprach tatsächlich mal jemand englisch!
YEEEESSSSSSS!
‚Ok jump in!‘

‚Braucht ihr etwas luxeriöses?‘, fragte er als wir losfuhren.
‚Nein nur etwas warmes!‘, antworteten wir alle drei, wie aus einem Mund.
Er lachte. ‚Ok!’

Nachdem wir seine Tochter vom Kindergarten abgeholt hatten, fuhr Cat mit uns eine Weile durch das Dorf und am See entlang, und erklärte wo man am besten einkaufen könnte und wo es am schönsten zum Schlittschuh laufen sei.
Allerdings waren wir mit den Gedanken ganz wo anders…
Wo würden wir nur landen…?

Kurz drauf hielt er an.
Er zeigte nach rechts, ‚This in my house.‘
Dann nach links, auf eine kleine Holzhütte, ‚This is for you.‘
Wir steigen aus und er zeigte uns das Häuschen in dem er, wie er erzählte, Freunde und Familie unterbrachte, wenn sie zu Besuch kamen und eben manchmal ‚verirrte Seelen‘ und Backpacker, welche ihm auf der Insel über den Weg liefen.
Wir könnten bleiben so lange wir wollen, meinte er und wenn wir etwas bräuchten, wir wissen ja wo er zu finden sei.
Mann…. hatten wir ein Glück!
Nach dem ganzen Mist in den vergangenen Stunden waren wir bei dem definitiv coolsten Typen der Insel gelandet, und saßen nun in unserem ‚eigenen‘ Haus, welches zu allem Überfluss, auch noch fließend und heißes Wasser hatte (nicht alltäglich hier) und am besten Spot der Insel lag.
Ja, das kam nämlich noch dazu!
Unsere Bleibe lag direkt an den Klippen mit Blick auf den ‚Shaman Rock‘, dem wohl schönsten Plätzchens Olkhons!!!
Das war doch wesentlich besser, als so ein vermeintliches Guesthouse am Rande des Dorfes!

Die folgenden Tage waren genau so wunderschön wie ereignisreich.
Wir erkundeten die Gegend, wanderten (anfangs sehr vorsichtig) über den zugefroren Baikal, Sergei nahm uns mit auf Erkundungsfahrten und brachte uns Schlittschuhe vorbei, mit denen wir ‚unser Glück‘ auf dem Eis des ältestes und tiefsten Süßwassersees der Welt versuchen konnten.
Abends kochten wir zusammen mit Momo, einer Französin, die sich ebenfalls ‚verirrt‘ hatte, und unser Gastgeber kam vorbei und erzählte Geschichten über die Insel, ihre Traditionen und warum er, nach all seinen Reisen, gerade hier zur Ruhe gekommen war.

Die Zeit verging viel zu schnell, und da wir leider nicht ewig dort bleiben konnten, machten wir uns nach ein paar Tagen wieder auf den Weg.

Auch hierfür hatte Sergei etwas für uns organisiert.
Einen Buchanka, (yayyy) mit Fahrer, welcher uns, inkl. kleiner Sightseeingtour, übers Eis zurück zum Festland bringen sollte.
Wir verabschiedeten uns von unseren neuen Bekanntschaften, bedankten uns bei unserem ‚Retter in der Not‘ und stiegen ein.
3km weiter war es dann so weit.
Wir fuhren aufs Eis.
Mit dem Auto.
Was für ein seltsames Gefühl!

Schon zu Fuß bzw. auf Schlittschuhen war es komisch gewesen.
Nicht nur, weil das Eis Geräusche von sich gibt und es durch das Wasser darunter manchmal fürchterlich vibriert.
Ich hatte auch immer dieses Ding von früher im Kopf:
Kinder geht nicht aufs Eis! Es ist gefährlich! Dieses Jahr sind schon wieder X Leute eingebrochen!…

Ich mein klar, wir sind keine Kinder mehr und das Eis ist hier bis zu einem halben Meter dick*…
Dennoch… Hintergedanken bleiben! 😀
Und so war diese Buchanka-Fahrt zurück zum Festland, spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem der Fahrer bei einem gigantischen Riss im Eis, anstatt umzukehren, Anlauf nahm und einfach mal so, schnell rüber hüpfte, eine der abenteuerlichsten Aktionen unserer bisherigen Reise!!! 😀

*laut Sergei, brechen jedes Jahr wieder Autos ein, da laut der Devise ‚bis es wirklich nicht mehr geht’ übers Eis gefahren wird.

Aber dieser Sprung hatte auch eine gewisse Symbolik für uns.
Zum Einen bedeutete es Abschied, nicht nur von Olkhon, sondern auch von meinem Bruder, welcher leider viel zu schnell wieder zurück nach Deutschland musste.
Zum Anderen jedoch Neuanfang.
Oder besser Neustart.
Denn die Zeit war gekommen den Motor wieder anzuschmeißen, Sibirien hinter sich lassen und in neue Länder und Abenteuer zu ziehen. 🙂

4 Kommentare
  1. Nicole says:

    Hi… ich bin sowas von platt von Euren Erzählungen und den beeindruckenden Bildern dazu… WOW!
    Ich genieße jede Zeile! Ihr nehmt mich jedes Mal total mit… ich bin also fast dabei, so fühlt es sich jedenfalls an 😉
    Genießt es einfach voll und ganz. Ihr habt ja so Recht!
    Bleibt gesund und ganz herzliche Grüße aus Zorneding 🙂

    Antworten
  2. Günter says:

    Hallo ihr zwei,
    ich freue mich schon jedes mal auf euren nächsten, spannenden Reisebericht. Die Bilder sind absolut faszinierend und lassen eure hautnahen Geschichten für mich noch lebendiger wirken. Manchmal, wenn es besonders spannend wird, wie jetzt mit eurem Winterquartier und der Deadline für die Ausreise, dann ruf ich schon mal Roland an, ob er schon Neuigkeiten von Euch weiß. 🙂 Es wird also mit Euch miterlebt und mitgefiebert.
    Herzliche Grüße und weiter gutes Vorankommen und tolle Erlebnisse.
    Günter

    Antworten
    • Andi says:

      Danke Günter,

      es freut uns sehr, dass wir unser Gefühl von Reisen damit etwas vermittelt bekommen und hoffentlich viele Leute dazu bewegen, es selbst in Angriff zu nehmen 😉

      Antworten

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