Grenzgebiete

– Andi`s View –

Wir hatten uns also ein paar Tage Erholung im Nationalpark Aladaglari gegönnt. Ein bisschen Wandern brachte ganz gut etwas Kontrast in die ganze Sache. So hatte ich das zumindest empfunden.

Ob es nötig war? Keine Ahnung, aber es fühlte sich zu diesem Zeitpunkt richtig an. Sich auch einmal körperlich etwas betätigen als ständig nur Geronimo die Arbeit verrichten zu lassen. Das brauchten wir irgendwie!

Nach 3 Tagen machten wir uns dann über Kayseri auf den Weg Richtung Kangal. An den Ort, an dem ursprünglich die riesen Biester aka Hirtenhunde herkommen, welche wir hier schon zu Haufe gesichtet hatten. Ohren und Schwanz abgeschnitten damit im Kampf keine Angriffsfläche vorhanden ist. Sie tragen Halsbänder mit langen Nägeln damit der Wolf nicht in die Kehle des Hundes beißen kann. Sie sehen aus wie Höllenhunde und Baku wirkt vergleichsweise wie ein kleiner und zahmer Labrador.

Die Hirtenhunde waren aber nicht der eigentliche Grund für unsere Fahrt in diese Region. Vor Beginn der Reise sind wir auf einen Blog gestoßen, welcher unter anderem seine Highlights an Stellplätzen mit den Lesern teilt. Dort hatten sie einen Stellplatz nahe Kangal eingestellt, welcher uns den Bildern nach faszinierte. Steppe so weit das Auge reicht, keine Menschenseele, keine Gebäude, einfach nichts. In diesen Genuss wollten wir auch kommen. Der Plan war es dort für ein paar Tage zu bleiben. Demnach füllten wir unsere Vorräte wie Lebensmittel, Diesel und Wasser auf. Wir waren bereit für Kangal…

Schon etliche Kilometer vor Kangal wurde die Landschaft immer weitläufiger. Mittlerweile befanden wir uns ja auch nicht mehr in der mediterranen Region der Türkei, sondern hatten Zentralanatolien erreicht. Eine atemberaubende Hügellandschaft mit viel Wildwuchs an Blumen und Gräsern. Die Straße war nicht gerade im besten Zustand und das ständige Bewundern der Umgebung anstatt die Augen auf den Asphalt zu richten machte die Fahrt nicht gerade komfortabel. Geronimo nahm ein Schlagloch nach dem anderen mit. Ordentlich durchgerüttelt erreichten wir dann die Koordinaten des Stellplatzes.

Unser anfänglicher Enthusiasmus war nach Ankunft leider schnell verflogen. Der Platz war besetzt. Hirten hatten sich mit ihren Herden hier vorübergehend niedergelassen. Da war für uns leider kein Platz. Wir suchten also nach einer Alternative, durchfuhren die recht unspektakuläre Stadt Kangal und suchten uns lediglich einen Platz für die bevorstehende Nacht.

Aber genau das ist es, was das Reisen ausmacht. Das Unerwartete. Das Unberechenbare, das Unplanbare…

Man fährt mit einer bestimmten Erwartung an einen Ort und am Ende kommt es dann ganz anders und man schmeißt seine „Pläne“ über den Haufen.

Enttäuscht waren wir selbstverständlich dennoch etwas. Dann eben ein paar Tage früher nach Nemrut. Auch kein Problem!

Am darauffolgenden Tag starteten wir also die knapp 260 km lange Etappe nach Nemrut. Über den Karakaya See und die Stadt Malatya bewältigten wir die Strecke in 2 Tagen. Am späten Abend erreichten wir den Nationalpark Nemrut Dağı, passierten die Passstraße und verbrachten die Nacht auf 2.100 Meter direkt unterhalb der Statuen.

Nemrut Dağı

Im ersten Jahundert v. Chr. wurde Kommagene im nördlichen Mesopotamie, das heutige Gebiet um Adiyaman, von einem Herrscher namens König Antiochos I. regiert.

Der Sage nach schlossen König Antiochos und sein Vater einen Pakt mit den Göttern. Seither konnten sie ihr Reich jahrelang erfolgreich gegen andere Großmächte wie den Römern oder den Persern verteidigen. Um die bestehende Verbindung zwischen ihnen und den Göttern (Mithros, Herakles, Zeus) zu verbildlichen und um seinen Herrschaftsanspruch zu legitimieren, fertigte König Antiochos auf dem Berg Nemrut ein Denkmal. Von nun an sah sich König Antiochos ebenbürtig mit den Göttern. So verlieh er sich den Beinamen „Theos“, welcher Gott bedeutet.

“Wer auch immer im Verlaufe der Zeit als König oder Herrscher diese Herrschaft übernimmt, der soll, wenn er dieses Gesetz und unsere Verehrung bewahrt, durch meine Fürbitte die Gnade aller vergöttlichten Ahnen und aller Götter besitzen.”

Dieser Ort ist irgendwie mystisch und entfaltet sein ganzes Flair vor allem bei Sonnenaufgang, wenn die ersten Sonnenstrahlen die Statuen berühren und ein rosanes Licht über das Denkmal werfen.

Direkt oberhalb des Denkmals soll sich der Sage nach die bis heute unerschlossene Grabkammer des König Antiochos befinden. Um sich vor Grabräubern, Religionsgelehrten und Altertumsforschern zu schützen beauftragte der König seine Architekten ein ausgeklügeltes Verschlusssystem zu entwerfen. Heraus kam ein künstlich aufgeschütteter Steinhaufe auf der Spitze des Berges. Bis heute trotzt dieser simpel wirkende Steinhaufen sämtlichen geophysikalischen Grabungsmethoden.

Ist das nicht fantastisch?

Ein Mysterium bleibt trotz der Neugier des Menschen und seinem Fortschritt bestehen. Und das über tausende von Jahren.

Man muss diesen Ort selbst besucht haben! Nur so kann man diese Atmosphäre dort spüren. Nur so kann man in der Zeit zurückreisen und das damals geschehene nachempfinden.

Versprochen…es ist einzigartig!

Nach 3 Tagen voller mystischer Geschichten sollte es weiter Richtung Osten gehen. Zu unserem vorerst letzten Spot in der Türkei. Dem Van See.

Wie vor jeder Fahrt warf ich auch diese Mal einen Blick unter Geronimo, ob alles soweit in Ordnung ist.

Ihr wisst ja wir hatten eine undichte Stelle, vermutliche eine alte Dichtung, am Lenkgetriebe entdeckt. Unser erster Werkstattbesuch war zwar nett aber nicht wirklich effizient. Aber wir hatten uns auf die Aussage „das geht schon noch“ einfach verlassen.

Nun ging es aber nicht mehr! Definitiv nicht!

Auf Grund der Serpentinenstraßen im Nemrut Dağı Nationalpark wurde die Lenkung natürlich sehr beansprucht. Deshalb triefte die Dichtung mehr und mehr. Der Ölstand sank und hatte das Minimum bereits erreicht. Eine Werkstatt musste her! Auf der Stelle!

Die nächst gelegene größere Stadt war Adiyaman. Das bedeutete zwar zirka 60 Kilometer zurück Richtung Westen, aber wir hatten keine Wahl. Einen größeren Schaden an Geronimo wollten wir einfach nicht riskieren.

Wenn du was an deinem Bus machen lassen musst, dann frag am besten nach „oto sintesi“. Da wird dir geholfen. Worte von Danny, welche mir sofort in den Kopf schossen.

Nach etwa eineinhalb Stunden erreichten wir Adiyaman. Auch die Wegweiser in Richtung Gewerbegebiet aka „sintesi“ waren schnell gefunden und wir steuerten die nächstbeste Werkstatt an. Naja das wollten wir, aber welche nun unter den hunderten von Möglichkeiten?!

Eine Kleinstadt innerhalb der Großstadt. Eine Werkstatt neben der Anderen, Geschäfte mit Fahrzeugzubehör, Waschstraßen, Tankstellen, Lackierereien und, und , und…

Völlig überfordert entschlossen wir uns dazu eine Werkstatt anzusteuern, welche sich um LKWs kümmert. Demnach hielten wir nach LKWs Ausschau. Das klappte schon besser, wir fanden Eine und ich stieg aus und fragte nach Hilfe.

Mir gegenüber 2 Männer, welche mich nichts-verstehend ansahen. Einen der Männer packte ich am Arm und zerrte ihn zu Geronimo. Nach einem Fingerzeig auf das Lenkgetriebe war auch ihm klar was fehlte. Nur noch einparken und schon nahm das Ganze seinen Lauf.

Nach etwa 4 Stunden, einem reichhaltigen Essen, unzähligen mehr oder weniger Dialogen, einer neuen Dichtung und 20€ weniger in der Tasche verließen wir Adiyaman überglücklich.

Wie man sich nur derart über eine Dichtung freuen kann?! Das war uns bis dato auch nicht bewusst 😀

In den darauffolgenden beiden Tagen bewältigten wir dann die Strecke nach Tatvan, welches an der westlichsten Spitze des Van Sees liegt. (rund 400 km).

Je weiter wir gen Osten kommen, desto anstrengender werden die Straßen. Auch „ausgebaute Schnellstraßen“ entpuppen sich als reine Schaukelpartien.

Auch Kontrollen nehmen deutlich zu. Je näher man sich den Grenzgebieten nähert, desto öfter ist Militär anzutreffen, desto häufiger winkt einen die Polizei aus dem Verkehr. Durchwinken, so wie wir es gewohnt waren, ist leider nicht mehr. Anstrengend sind die Kontrollen aber auch nicht wirklich. Entweder sie lassen uns weiterfahren weil die Beamten kein Englisch sprechen und wir kein Türkisch oder sie lassen uns weiterfahren weil Baku hinter der Schiebetür wartet, erstaunt Kurt gerufen wird und dann die Geste „verschwindet“ kommt. So richtig kontrolliert wurden wir bis heute also immer noch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass wird noch früh genug kommen.

Wir erreichten also Tatvan und den angrenzenden Van See, welcher eigentlich auf Grund seiner Größe eher an ein Meer als an einen See erinnert. Ehe wir uns auf Stellplatzsuche machten, steuerten wir das Zentrum der Stadt an, um ein paar Erledigungen zu machen. Es war schon spät also entschlossen wir uns wieder einmal iOverlander zur Hilfe zu nehmen. Unweit der Stadt Tatwan sollte auf einem Vulkan (namens Nemrut Dağı) ein Stellplatz, direkt an einem Kratersee, sein. Es waren zwar nur zirka 20 Kilometer, da es sich aber um Kopfsteinpflaster handelt, brauchten wir dafür etwas über eine Stunde. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichten wir die Stellplatzkoordinaten.

Erneut ein Nemrut Dağı, erneut ein atemberaubender Platz zum Nächtigen. Hier wollten wir bleiben. Die kommenden 2 Tage Ruhe und Natur. Perfekt!

Unser Platz war nicht wirklich stark frequentiert aber dennoch fanden wir jede Menge an Müll. Und das im Naturschutzgebiet!?

Aber das hatten wir ja an andere Stelle thematisiert…

Von Tatvan an die georgische Grenze waren es nun noch zirka 560 km.

Innerlich verspürten wir schon seit ein paar Tagen, dass es an der Zeit ist etwas Neues zu erkunden. Warum das so ist können wir nicht erklären. Es kommt einfach, so wie es damals in Griechenland gekommen ist.

Wir nahmen die letzte türkische Etappe in Angriff und umfuhren den Van See an der Westküste. Etwa 80 Kilometer vor der Stadt Dogubayazit legten wir den ersten Stop für die Nacht ein. Hinter einem Kieswerk, direkt unterhalb eines Skilifts, schlugen wir unser Nachtquartier auf. Es dauerte keine 10 Minuten und ein Hirte und seine 2 kleinen Kinder begrüßten uns, saßen sich zu uns, wir reichten Nüsse und Tee und Mohammed, so sein Name, stellte uns voller Stolz seine Kinder vor. Ein Junge, dunkles schwarzes Haar, etwa 5 Jahre alt, ein kleines Mädchen, lange blonde Haare, etwa 2 Jahre alt.

Das Mädchen schien Mohammed`s Liebling zu sein. Er erklärte uns, dass sie bereits eine richtige Skifahrerin sei indem er immer wieder das Wort „Kayak“ rief. Zudem zeigte er immer auf den Pferdeschwanz des Mädchens. Was er uns damit sagen wollte, verstanden wir zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

Dann nahm mich Mohammed am Arm und vermittelte mir, er wolle mir eine Quelle zeigen. Wir stapften also ein paar hundert Meter übers Feld bis zu einer Quelle, aus welcher schwefelhaltiges Wasser austrat. Voller Stolz zeigte er mir seine angebrachte Pumpe, mit welcher er seine Felder bewässert. Auf dem Rückweg dann rief mich Mohammed bei meinem Namen, ich drehte mich um und er riss auf einmal die Hose des Mädchens herunter. Moment…plötzlich verstand ich, was er uns die ganze Zeit sagen wollte. Er wedelte mit einem kleinen Penis umher und lachte ….

Ich fasse also zusammen…

Wir treffen im Osten der Türkei, an der iranischen Grenze, bei 35 Grad einen Hirten, dessen Sohn mit langen blonden Haaren als Skifahrer bei den Olympischen Spielen mit machen will.

Warum denn auch nicht 😀

Nach einem amüsanten Abend und einer angenehmen Nacht machten wir uns weiter auf den Weg in Richtung georgischer Grenze, welche wir dann 2 Tage später und nach einem kurzen Besuch der Stadt Kars erreichten.

Plötzlich war sie vor uns. Die georgische Grenze. Landschaftlich veränderte sich die Umgebung schon die letzten Kilometer, so dass uns bewusst war, wir verlassen die Türkei. Als sie dann da war, war es doch irgendwie etwas überraschend…

Die Anspannung steigt, innerlich wird es ein bisschen unruhig. So ein Grenzübertritt ist schon immer etwas Besonderes auch wenn man weder etwas zu verbergen noch zu befürchten hat. Militär ist nun mal Militär…nicht wirklich die Art von Menschen, welche ich gerne um mich haben möchte.

Langsam rollten wir auf den Grenzposten zu, davor schon eine Schlange mit wartenden Menschen. Wir parkten Geronimo, packten unsere Dokumente zusammen und stellten uns an. Es ging langsam voran. Das typische Stempelgeräusch des Beamten kam langsam immer näher. Dann waren wir an der Reihe.

Offiziell in der Türkei ausgestempelt…

Nach etwa 30 Minuten waren wir auf dem Weg zu den georgischen Grenzbeamten.

An der türkischen Grenze wurde nur flüchtig ein Blick in Geronimo geworfen. Dieses Mal war das anders. 5 Beamte inspizierten unsere Schränke, unsere Reiseapotheke, unsere Kanister, die Kleidung, das Hundefutter…einfach alles. Zu keiner Zeit war es aber unangenehm. Die Beamten waren sehr höflich (zogen sogar die Schuhe aus) und waren an unserer Lebensweise interessiert. Auch wenn man sich nicht wirklich verständigen konnte, es wurde ständig gelacht.

Nach einer weiteren halben Stunde passierten wir die Grenze…wir waren angekommen.

Angekommen in Georgien. Bereit um etwas Neues zu erkunden.

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